Unsere abenteuerliche Reise durch Polen

   Pfarrer Schulze hat mich im Frühjahr 89 angesprochen, ob ich mit ihm und seiner Religionsgruppe nach Polen fahren und die Tour mit planen würde. Ich als Fahrer mit meinem Wohnmobil würde die Kosten für dieses Unternehmen überschaubar halten …






   Ich willigte ein und ab dann begann die akribische Planung unserer Projektreise anlässlich des „50. Jahrestages zum Beginn des 2. Weltkrieges“. Die Schüler wurden in die Planung immer mit eingebunden.
Wissen muss man, dass es 1989 noch die DDR und den Ostblock gab. D. h., dass wir für uns alle die Visa für die DDR und Polen – unter Angabe des Grundes der Reise und der Reiseroute – beantragen mussten.
   Um die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, planten wir die Übernachtung mit Zelten und z. T. bei Bekannten, die Pfarrer Schulze kannte.
Die Spritkosten planten wir in Zloty zu bezahlen (der Wechselkurs war damals, soweit ich mich erinnere, 1 DM zu 10 Zloty).

   Noch vor den Sommerferien kopierten wir vorsorglich von allen Teilnehmern die Ausweise und Visa – jeweils einen Satz für Pfarrer Schulze und für mich. Wie wichtig das war, mussten wir auf der Fahrt erfahren.
Ebenso wollte ich die Zelte im aufgebauten Zustand sehen – ich wollte sicher gehen, dass alles vorhanden ist. Einige Jungs mussten da bis zur Abfahrt noch Einiges nachbessern.

   Am Donnerstag, den 31. August – es waren die letzten Sommerferientage – begann unsere „abenteuerliche“ Reise durch die DDR nach Polen.
Über die Grenzkontrollen bei der Ein- und Ausreise durch die DDR und Einreise nach Polen möchte ich mich nicht weiter auslassen.

   Die erste Übernachtung fand auf einem Campingplatz in Oppeln (Opole) statt. Einer der Jungs hatte zwar sein Zelt mit – was fehlte war das Gestänge – so musste er sein Zelt mit gesammelten Ästen aufbauen, was natürlich nicht hielt, wie wir am anderen Morgen feststellen konnten.
   Super dachte ich, wozu checken wir die Zelte vor den Ferien auf Vollständigkeit mit dem Hinweis, dass fehlende Teile zu besorgen sind!

   Unser Ziel am 2. Tag war der Radiosender in Gleiwitz (Gliwice).
Als wir uns in Gleiwitz nach dem Weg zum Sender durchfragten, trafen wir auf einen alten jüdischen, mit vielen Orden behangenen, Widerstandskämpfer. Er fuhr mit uns zum Sender und berichtete, dass dort eine Gedenkfeier stattfinden würde. Er erzählte uns seine qualvolle Lebensgeschichte als Zwangsarbeiter und später als Widerstandskämpfer. Wir wurden von ihm zu dieser Feier eingeladen – wir waren übrigens die einzigen Deutschen bei dieser Feier.
Freundlich wurden wir willkommen geheißen und nach der Feier ergaben sich angeregte Diskussionen mit einigen Teilnehmern.
Diese Lebensgeschichten haben uns tief bewegt.

… Gruppenfoto in Kattowitz …

   Auf dem Weg ins Konzentrationslager Auschwitz (Oświęcim) legten wir am nächsten Tag einen Zwischenstopp in Kattowitz (Katowice) – früherer Wohnort eines Schülers – ein.
Wir hielten uns mehrere Stunden im Konzentrationslager auf – haben uns die Baracken und die Verbrennungsöfen sowie einen Film über die unmenschlichen Lebensbedingungen der Menschen dort im Lager angesehen. Drei unserer Jungs hatten danach Tränen in den Augen – sie weinten und wir alle waren zutiefst erschüttert.

   Die Weiterfahrt nach Tschenstochau (Częstochowa) verbrachten wir schweigend – zu groß waren noch die schmerzlichen Eindrücke.
   Tschenstochau mit seinem Pauliner Kloster mit der Schwarzen Madonna ist ein berühmter Wallfahrtsort für die Polen.
Vor der Festung parkten unendlich viele Busse mit Pilgern, die zur Schwarzen Madonna wollten. Viele Polen waren in ihren landesüblichen Trachten gekommen – es war ein schönes Bild, was sich uns zeigte.
Die Festung und das Kloster waren sehr beeindruckend.
Die Übernachtung fand z. T. in kleinen Hütten statt – wir waren nach all dem müde und wollten uns das Zelte aufbauen ersparen.


   Unser nächstes Ziel war Warschau – u. a. mit Besichtigung des Schlosses, der Altstadt, des Warschauer-Ghetto-Ehrenmals.
Nach dem Mittagessen unweit des Schlosses gönnten Pfarrer Schulz und ich uns eine kleine Rundfahrt mit einer Pferdekutsche.

… Pfarrer Schulze und ich in der Kutsche …


   Als wir zum Wohnmobil zurückkamen – das direkt vor dem Schloss parkte – , stellten wir fest, dass eingebrochen und ganz viel gestohlen wurde. Zelte, Rucksäcke mit Kleidung, meine Kameraausrüstung mit all dem Filmmaterial, Rasierer und auch Personalausweise einiger Schüler waren weg.

   Was die Personalausweise betraf hatten wir den Schülern ausdrücklich gesagt, dass sie diese immer bei sich tragen sollten.

   Bis nach Mitternacht brachten wir wegen der Anzeige bei der Polizei zu – wir hatten den Eindruck selbst die Täter zu sein.
Zum Glück hatten wir auch deutsch-polnische Schüler mit, sie konnten der Polizei alles übersetzen.
Einem der beiden deutsch-polnischen 18 jährigen Schüler wurde ebenfalls der Ausweis entwendet – ihn mussten wir auf Grund seiner besonderen Papiere nach langem überlegen und Einverständnis der Eltern in Warschau zurück lassen. Seine Eltern mussten für ihn neue Papiere in der Polnischen Militärmission in West-Berlin besorgen – sie holten ihn dann Tage später ab.
   Übernachtet haben wir bei einer polnischen Professorenfamilie in Warschau. Pfarrer Schulze und ich schliefen im Wohnmobil – wir hatten Sorge, dass nochmals eingebrochen wird.
Unser Aufenthalt in Warschau war länger als geplant – wir mussten für einige Schüler Klamotten kaufen – auch mussten wir nochmals zur Polizei.
   Für den deutschen Schüler mussten wir Ersatzpapiere ausstellen lassen, denn ohne Papiere konnten wir nicht weiter. Jetzt zeigte sich, dass es gut war, dass wir von allen die Ausweise kopiert hatten.
Unsere Stimmung war auf einem Tiefpunkt – klar war, dass wir unsere Reise nicht wie geplant fortführen konnten.
Gemeinsam entschieden wir die Fahrt in die Masuren und zur Wolfsschanze zu streichen.

   Am zweiten Abend trafen wir uns mit polnischen Studenten in einem Jugendtreff – das hatte der Professor organisiert. Wir berichteten von den Eindrücken der vergangenen Tage … Gleiwitz … Auschwitz … …
Wir waren aber auch interessiert, wie die Studenten die veränderte Lage in Polen (Solidarność) einschätzten und was sie für sich erhofften.

   Nach drei Tagen in Warschau fuhren wir am 06.09. über Elbing nach Zoppot bei Danzig.
Dort bezogen wir für zwei Nächte in einer evangelischen Kirchengemeinde Quartier. Für die Gemeindemitglieder hatten wir ganz viele Sachen (Kleidung – Spielsachen etc.) in Berlin eingepackt und mitgebracht.
Wir besichtigten Zoppot und waren am Abend schick essen im Grand Hotel. Ich erinnere mich, dass wir für ca. 2 bis 3 DM ganz tolle leckere Fischplatten bekamen.
   Am nächsten Tag fuhren wir vom Anleger in Danzig mit dem Boot zur Westerplatte.

… wir am Denkmal auf der Westerplatte …

Wieder in Danzig konnte ich mich „Abseilen“ und meine Geburtsstadt Danzig zum ersten Mal nach 40 Jahren besuchen.
Bewaffnet mit Jürgen Schulzens Fotoapparat erkundete ich die Altstadt – machte Fotos und ließ das Ganze auf mich einwirken.

… Zoppot – an der Ostsee …


   Am 08.09. verließen wir Zoppot und fuhren nach Koszalin, einem kleinen Badeort an der Ostsee.
Unser Quartier schlugen wir diesmal bei einer Familie – die Pfarrer Schulze kannte – auf.
   Die beiden Nachmittage nutzten wir, um in der Ostsee zu baden und die Sonne zu genießen.
Am Freitag Abend machten sich unsere Jungs mit dem erwachsenen Sohn der Familie auf, um in die Disco zu gehen. Wir entließen die Jungs mit dem deutlichen Hinweis auf ihre Sachen aufzupassen.
   Unser Nachtlager befand sich im Wohnzimmer – wir schliefen auf unseren Luftmatratzen.
Nachts – so gegen 1 Uhr – wurde ich geweckt. Einer unserer Jungs flüsterte mir ins Ohr, dass sein Portemonnaie weg sei. Ich war kurz vor dem Ausflippen – wie sollten wir – es war Samstag – an Ersatzpapiere kommen?
Wir sind sehr früh aufgestanden – nach dem Frühstück haben wir den Weg zur Disco abgesucht, in der Hoffnung, dass wir sein Portemonnaie finden – leider ohne Erfolg!
   Unsere Gastgeberin hat sich mit uns aufgemacht – zunächst waren wir bei der entsprechenden Behörde – dort erfuhren wir, dass wir ein Passbild brauchen. Schnellen Schrittes ging es quer durch Koszalin zum Fotografen auf einem Hinterhof. Kein Hinweis – kein Schaufenster zeigte uns, dass hier ein Fotograf ist.
Das Passfoto war schnell gemacht – so mussten wir wieder schnellen Schrittes zurück zur Behörde. 30 Min. vor Schließung waren wir dort.
Ohne die Hilfe und das resolute Auftreten unserer Gastgeberin in der Behörde wären wir wohl kläglich gescheitert.
Wir waren glücklich und erleichtert, als wir die Ersatzpapiere in den Händen hielten.

   Sonntag, 10. 09. Rückfahrt ! … als wir nach dem Frühstück unser Gepäck im Wohnmobil verstaut hatten, konnte es losgehen – es war ein sehr herzlicher Abschied von unserer Gastfamilie – sie hatte uns aufgenommen und bewirtet als gehörten wir zur Familie. Im Umschlag gaben wir ihnen als Dank 40 DM – später erfuhr ich, dass das umgerechnet mehr als ihre 6-monatige Rente war.
   An den Grenzen war uns ganz schön mulmig – hatten wir doch zwei Schüler, deren Originalpapiere nicht mehr vorhanden waren. Mit vielen Erklärungen etc. haben wir auch die letzte Grenze zu West-Berlin geschafft – einmal tief durchatmen – geschafft !!! – wir sind in West-Berlin !!! – jetzt noch ganz schnell in die Telefonzellen und die Eltern anrufen.
Wenn ich mich recht erinnere waren wir gegen 19 Uhr an der Schule.
Wir waren froh wieder wohlbehalten zu Hause zu sein.

Ich schrieb zu Beginn von der „abenteuerlichen“ Reise …
Einbruch ins Wohnmobil – Sachen und Papiere weg – darüber habe ich ja bereits berichtet.
Die Beschaffung von Sprit für das Wohnmobil war ebenso „abenteuerlich“ !
In Polen herrschte zu dieser politisch schwierigen Zeit Benzinknappheit – viele Tankstellen waren deshalb geschlossen. Trotz der beiden 20 ltr. Kanister wurde es immer wieder sehr eng – es war nicht klar, ob wir den nächsten Tag weiterfahren konnten. Wurde eine Tankstelle beliefert, bildeten sich innerhalb kürzester Zeit lange Schlangen – auch mitten in der Nacht.
Um nicht hinten anstehen zu müssen – vielleicht kein Sprit zu bekommen, haben wir unsere deutsch-polnischen Schüler mit den Kanistern zu den Tankwarten vorgeschickt. Den Tankwarten wurden heimlich ein paar Mark für die „Vorzugsbehandlung“ zugesteckt – das hat immer geklappt.
In Warschau fuhr der Sohn des Gastgebers mitten in der Nacht mit unserem Wohnmobil und ein paar Mark zur Tankstelle und hat alles vollgetankt – welche Erleichterung – unsere Weiterfahrt war gesichert. Heute nicht vorstellbar – diese „Tankaktion“ hat mehrere Stunden gedauert.

   Was bleibt sind die Erinnerungen an die erlebnisreichen Tage, die wohl keiner der Teilnehmer missen möchte.

Da meine Kameraausrüstung samt aller Negative in Warschau entwendet wurde, gibt es leider nicht viel Bildmaterial.
Hier kommt ihr zu den Fotos

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